| Der Seher - was sieht er? Mein Aquarell von dieser oder diesem 
      Schauenden ist eines der wenigen Gemälde, bei denen ich mir in der 
      Schulzeit voll die Mühe gab. Nun, Jahrzehnte später, sehe ich das Bild vor 
      mir, das dieser Seher - es kann auch eine Seherin sein, das Gesicht ist 
      auf der Kippe zwischen den Geschlechtern - schaut. 
       Hier kommt also ein Bild, ein 
      Arrangement von Bildern, die ich vorläufig nur beschreibe. Nach meinem 
      Gefühl sind es eher Bilder, die ich vielleicht als Auftragswerk vergebe. 
      Ich beschreibe eine "Altarwand". Ihren Inhalt sehe ich beim Beschreiben 
      vor mir - und habe damit schon genug gesehen. Zwei Titel zur "Vision des 
      Sehers" fallen mir nebeneinander ein:
 Titel 1
 Heute erhielt ich mal wieder die erforderliche Zeit, um ins Nichts, um ins 
      Licht, um zu mir zu laufen.
 
 Titel 2
 Wenn du "das Ziel" gar nicht erreichst, oder dass "das Ziel" sich beim 
      Annähern verändert - das ist ein häufiger Vorgang. Er ist mir geläufig. 
      Damit arbeite und hantiere ich.
 Einstieg in die Schau:
 Aus einem Dunkel an den Rändern des Bildes heraus sehe ich vier 
      perspektivische Linien auf ein helles Zentrum zulaufen. Das Bild ist 
      räumlich. Das rahmengebende Rechteck sendet von jeder seiner vier Ecken 
      von vorne betrachtet einen gerade Linie zur Mitte hin. Aber nun kippt das 
      Rechteck, und die Linien sind von der Seite zu sehen: Da krümmen sie sich. 
      Sie verflachen in ihrer Annäherung an die Bildmitte. Sie verlaufen 
      konisch. Die Linien im Raum, die scheinbar in einem Punkt zusammenlaufen, 
      wandeln sich, wenn man sie von der Seite betrachtet, in abstürzende, 
      scheinbar infinitesimale Linien auf die Mittelachse des gegebenen Raumes 
      zu.
 Zu jedem Betrachtungs-Moment gibt dann 
      aber durchaus ein Treffen der Linien. Aber dieses Treffen ist nicht in 
      seinem Ort vorhersagbar. Man muss die Zeit hinzunehmen, nachdem man in 
      diesem Bild schon den Raum hinzufügte: In diesem einen Zeitmoment treffen 
      sich die Linien in dieser Tiefe, in jenem anderen Zeitmoment in einer 
      anderen Tiefe. Immer gibt es eine Grenze, doch nur pro Moment. Es gibt 
      keine Unendlichkeit in diesem Bild, aber ein Oszillieren des 
      Bildmittelpunktes, wie tief hinein in den Raum des Bildes er reicht.
       Mir ist bewusst, dass dieses Bild nicht 
      die Raumzeit-Welt abbildet, sondern sich seitlich von ihr befindet. Denn 
      es gibt keinen Zeitstrahl. Der zwingende Charakter der Zeit, mit ihrer 
      unzugänglichen Vergangenheit und einer nur aus Optionen bestehenden 
      Zukunft ist im Bild nicht gegeben. Am ehesten stecken wir bei diesem Bild 
      in einer "Optionenwelt": Verschiedenes ist zugleich möglich. Die Struktur 
      gibt eine Richtung vor, und sie hat darin auch Schönheit: "Schau, da in 
      die Mitte, da hin strebst du. Wenn du ungefähr ankommst, wenn du weit 
      gelangst, so bist du bereits angekommen." Das muss nicht technisch 
      dargestellt werden. Es geht bildnerisch. Ein Triptychon sehe ich 
      nun vor vor mir. 
 In der Mitte: "Der Reisende, der Wünschende, der Strebende, der 
      Betrachter" - Aus einem Dunkel an den Rändern des Bildes heraus gelangen 
      vier perspektivische Linien in die Nähe eines hellen Zentrums. Ich weiß, 
      dass diese "Linien" in sich wieder Welten zu sein vermögen. Dass mit dem 
      Stichwort "Der Reisende" eine andere Welt aufdämmert, irgendwie mit 
      Kontinenten als Ziel, als wenn man sagt "Der Wünschende" - da mögen 
      persönliche Paradiese angesprochen werden. Beim "Strebenden" wäre denkbar, 
      dass weltliche Ziele angestrebt werden - Geld, Status, Sex. Der 
      "Betrachter" will sich Räume des Konsums eröffnen: Dass er 
      Menschenschicksalen, Gedanken und Kunst zuschauen kann.
 Abstrahiere ich dieses Bild in der 
      Mitte, so scharen sich um die Linien, die aus den vier Dunkelbereichen, 
      aus den vier Ecken des Bildes zur Mitte streben, fraktale Strukturen: "Wir 
      können uns hinaus in Einzelheiten verdichten, wenn du näher trittst, und 
      werden eigene Wiedergaben von Unendlichkeit abbilden." In dieses eine 
      mittlere Bild lassen sich Bildwelten hineinflechten, die einen Reichtum 
      entfalten können wie die gesamte christliche Geschichtenwelt, oder wie die 
      griechische Götterwelt.
 Links: "Die Raumwerdung". Ein perspektivisch gezeichneter Konus.
 
 Rechts: "Zeitquanten": Zeit ist Eintreffen von Wirklichkeit heraus 
      aus den Optionen des vorangegangenen Zeitmomentes. "Ich und die Folgen 
      meines Handelns" - eine Linie, mit einem rahmengebenden Rechteck um sich 
      herum, zu dem sie senkrecht verläuft. Auf der Linie befinden sich 
      verschiedene aufglitzernde Momentpunkte "Jetzt hier und jetzt da - 
      irgendwo garantiert, im Einzelnen verschmiert.
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